Spitzwegerich - Plantago lanceolata


DIE WICKELFRAU

Den Wegerich hat der liebe Gott an alle Wege gestreut, in alle Wiesen und Raine gesetzt,

damit wir ihn stets bei der Hand haben;

denn er ist unstreitig das erste, beste und häufigste aller Heilkräuter.

In unserem Klima gibt es etwa sieben Sorten, und alle sind heilsam.

Johann Künzle, aus Chrut und Uchrut

Der Spitzwegerich begleitet unauffällig jeden Wegrand. Sie ist immer in unmittelbarer Nähe und bietet unglaublich rasche und starke Hilfe bei akuten Verletzungen an.

 

Über ihr Name und ihr Wesen

"Wegerich" kommt aus dem althochdeutschen (wegarih) und bedeutet Weg und König (rih). Man kann der Name auch mit Wegbeherrscher übersetzen, was völlig zutrifft. Doch ist sie nicht nur ausschliesslich an Wegrändern zu finden (für mich ist der Spitzwegerich weiblicher Natur, deswegen schreibe ich von "ihr"), sie sucht anscheinend sehr die Nähe des Menschen, so dass sie jeder schnell auffinden kann.

 

Ausgrabungen mit Pollenanalysen belegen, dass bei frühzeitlichen Siedlungen unserer Breitengraden der Spitzwegerich immer anwesend war. Er sucht förmlich die Nähe des Menschen. Böse Zungen können nun behaupten, dass dies anhand der klebrigen Samen geschieht, welche an Schuhwerk und ähnlichem haften bleiben und somit den Wegen entlang bis in die Siedlungen getragen werden. Genau. Die Wegkönigin wird immer dort anzutreffen sein, wo sich Menschen und Tiere bewegen. Stets griffbereit.

Kreütterbuch von Barthlomaei Carrichters, Holzschnitt von Leonhard Fuchs, 1602
Kreütterbuch von Barthlomaei Carrichters, Holzschnitt von Leonhard Fuchs, 1602

Der Wegerich wird bereits vor über 2000 Jahren ausführlich beschrieben und lobgepreist1). Das Vertrauen der Menschen zu ihm war seit jeher mit einem sehr soliden Band geknüpft. Bis heute hat er in der Medizin seinen festen Platz beibehalten.


Die Germanen nannten ihn Läke-Blad, was soviel wie Heilblatt bedeutet.

 

In der lateinischen Namensgebung bedeutet "planta" etwas wie Fusssohle. Lanceolata beschreibt die lanzenförmige Blattform. In einigen Quellen wird beschrieben, dass sich "planta" ebenfalls auf die Formgebung der Blätter bezieht oder Wegericharten ähnlich einer Fussohle am Boden fest verwurzelt sind. Der Spitzwegerich ist für seine Verbreitung2)  allerdings auch auf "Fusssohlen" angewiesen: Seine Samen bleiben daran kleben und ermöglicht der Pflanze, sich über weite Distanzen zu verbreiten. Ich kenne kein besseres Heilmittel gegen frisch aufkommende Blasen als der Spitzwegerich. Eine zufällige Symbiose? Wie sie auf "Fremdwanderung" angewiesen ist um weite Distanzen zurückzulegen, zeigt sie an ihrem Standort eine aussergewöhnliche Festigkeit: Ihre Wurzeln dringen mehr als doppelt so tief in den Boden (bis 60-70 cm), als Ihre Blüten hoch sind.

 

Weitere Namen: Heilwegerich, Wegbreit, Wegtritt, Wundwegerich, Sündenblatt, Wegwartenkraut, Schafzunge, Lammzunge (nach Dioskurides)

 


Mythos

Seit Menschengedenken wird der Wegerich genutzt. Ihr Pflanzengeist stellt eine Brücke zwischen der oberen und unteren Welt dar. Als Wegbegleiter für das Neugeborene hielten gebärende Frauen eine Wegerichwurzel in der linken Hand. Auch sie haben sich damit in diesem für sie gefahrvollen Moment der Schöpfung geschützt. 


Im Neunkräutersegen ist der Spitzwegerich an zweiter Stelle, unmittelbar nach dem Beifuss, eingereiht.

 

Sie soll ebenso für Liebeszauber eingesetzt worden sein wie zur Abwehr von unerwünschter Liebe.

 

Wohl im Wissen, dass der Spitzwegerich blutreinigend und Leberentgiftend wirkt, glaubte man immun gegen Gifte zu werden, wenn man täglich Spitzwegerich kaut.  Im Mai war zudem eine Blutreinigungskur mit Spitzwegerich Brauch: Jeden Tag wurde bis Mitte Monat ein Blatt mehr gegessen, anschliessend wurde die Menge bis Ende Mai um jeweils wieder ein Blatt gemindert. 

 

  

Spitzwegerich in der Küche

Der Spitzwegerich kann wie Salat zubereitet werden. Dieses "Gemüse" hat nach Kriegszeiten der ärmeren Bevölkerung manchen Dienst getan. Auch einfache Zuckergebäcke mit Spitzwegerich waren bekannt.

 


Wegerich-Arten und ihre Medizin

Es gibt verschiedene Wegeriche. Bei uns sind vor allem der Spitz-, der Breitwegerich und der mittlere Wegerich bekannt. Einige Kräuterkundler geben der einen Art, andere der anderen Art ihren Vorzug. Sicher ist, dass alle Arten Heilwirkungen aufweisen. Kräuterpfarrer Künzle schreibt, dass der alpine Wegerich der Beste sei, die anderen Arten aber "nicht viel nachstehen".

 

Der Spitzwegerich wird gerne verwendet bei Erkältungen und Erkrankungen der Luftwege (sie unterstützt hervorragend das Abhusten des Schleims) und für die Entschlackung von Blut und Leber. Für mich aber hat ihr Wesen die verblüffendsten Fähigkeiten in der Wundheilung. Verletzte, blutende Gämsen wälzen sich nicht ohne Grund im alpinen Wegerich.

Beeindruckt und geholfen hat mir der Spitzwegerich immer wieder, vor allem bei aufkommenden Blasen, Insektenstichen, Schürfungen, usw. Doch werde ich ihr niemals vergessen, was sie für mich getan hat, als ich mich an einer Eisen-Pfanne über dem offenen Feuer stark die Hand brannte.

Die Haut war sofort weiss und es zeichnete sich ab, dass ich einige Zeit mit einer grossen Brandwunde beschäftigt sein werde. Glücklicherweise war der kühle Fluss nicht weit und die Flusskiesel3) schienen mir zuzurufen, dass ich mich ihrer bedienen dürfe, sofern ich sie wieder genau an ihren Platz lege. So nahm ich einen kühlen Kiesel und legte ihn auf die Verbrennung. Als er zunehmend seine Kühle verlor, legte ich ihn dankbar zurück und bediente mich dem Nächsten. Ich weiss nicht, wie oft ich den Kiesel gewechselt habe. Ich erinnere mich, dass der Schmerz in der kurzen Zeit beim Wechsel des kühlenden Kiesels stark zugenommen hat (ich weiss schon - Männer sind wehleidig...).

Mein Essens-Schmaus habe ich nicht abgebrochen. Später machte ich mich auf den Heimweg und ich stolperte förmlich über den Spitzwegerich. Ich bediene mich nicht einfach an Pflanzen. Ich erzähle gedanklich was passiert ist und frage, ob und wie ich Hilfe in Anspruch nehmen darf. Eine Antwort kommt immer (keine Antwort ist allenfalls ebenfalls eine Antwort).

Der Spitzwegerich habe ich schon immer als besonders hilfsbereit erlebt. Ich legte zwei Blätter auf die verbrannte Stelle und band sie mit einem Gras fest. Später, als ich zur Arbeit fuhr (und mittlerweile der Grashalm durch ein Klebeband ersetzt habe), war, als ob eine ältere Frau mit grösster Sorgfalt und Weisheit Schicht um Schicht Wickel für Wickel  legte. Etwas irritiert wie tief berührt fuhr ich auf die Autobahneinfahrt. Während dem Fahren (lass dich jetzt nicht ablenken!) und später dem Arbeiten habe ich nicht mehr an dieses in mir aufgekommene Bild gedacht. Am Abend riet mir "ein Gedankengang", die Spitzwegerichblätter über die Nacht zu belassen. Am nächsten Morgen habe ich die mit gewöhnlichem Klebeband befestigten Blätter entfernt. Schliesslich muss jetzt mal Luft auf die sicher feuchte Wunde. Es fühlte sich gut an, kein Schmerz. Die Wunde war tatsächlich sehr feucht und ich liess sie trocknen. Das Bild, welches sich bot war überwältigend. Umgehend schickte ich meiner Frau ein whatsapp mit dem Bild meiner Hand (leider habe ich kein Bild gemacht, wie die Haut zuvor ausgesehen hat). Die verbrannte Haut hat sich auch Wochen später nie gelöst.

Ebenfalls bei einer Verbrennung mit einem Backofenblech hat man mich gebeten einen Spitzwegerich zu besorgen. Es war November - nicht die Zeit der Wegeriche, aber der Winter wollte noch nicht so recht kommen. Es war also leicht die Pflanze zu finden. Wie bereits erwähnt: Ich schildere die Situation der Pflanze und frage für Unterstützung. Wieder zeigte sich die enorme Hilfsbereitschaft. Sie liess mich verstehen, dass sich ihre Kräfte bereits in der Winterruhe befinden. Sie werde also nicht helfen können, aber ich soll weiter suchen. Wenige Schritte nebenan habe ich einen weiteren Spitzwegerich gefunden, welcher noch etwas weniges an Kraft in einzelnen Blättern hatte. Die Wunde heilte langsam, doch stetig, Die Haut hatte aber noch lange eine rötliche Verbrennungsfärbung. Aber auch hier hat sich keine Brandblase gelöst.

 

 

 Fussnoten:

 

1) unter anderen auch von Plinius (Naturalis historia, 1. Jh.)  und Dioskurides (De Medica Materia, 1. Jh.)

2) der Spitzwegerich verbreitet sich nicht nur durch "Fussohlen" oder Tiere. Auch mit Ausläufer bewegt sich die Pflanze fort.

3) wie ich später erfahren habe, spielen Flusskiesel bei den Ureinwohner Amerikas eine entscheidende Rolle